Er möchte so gern sterben, der Lenz, aber er kann’s einfach nicht. Lorenz „Lenz“ Gantner, Altwirt der Raststätte B12 an der gleichnamigen bayerischen Bundesstraße, ist 89 Jahre alt. Ein
Schlaganfall hat ihn schwer getroffen. Wie schwer, darüber gehen die Meinungen auseinander.
Die Behörde hat ihm die Pflegestufe wieder aberkannt, weil er beim Kontrollbesuch ans Telefon gegangen ist, statt im Bett liegen zu bleiben. Auch das Mitleid seines Sohns Manfred hält sich in
Grenzen. Aber Lenz beharrt darauf: Es gehe ihm fürchterlich, er sei so gut wie blind, könne gar nichts mehr unternehmen. Er ist weinerlich. Er will sterben.
Aber weil das halt nicht klappt, kann er auch mal eine gute Leberknödelsuppe essen oder eine Maß Bier trinken. Und Tag für Tag in der Raststätte sitzen, die er seinem Sohn schon zu Lebzeiten
vererbt hat, samt Schulden. Die Freunde vom Stammtisch sind schließlich auch alle da: Konrad, der einst König des Rock’n’Roll-Tanzes war und bald eine neue Hüfte kriegt, Parkplatzwächter Mane,
der mehr trinkt als spricht, und der stoisch gut gelaunte Franz, der Lenz’ ewige Vorwürfe und Beschimpfungen gekonnt ignoriert.
Das B12, in dem sie sich treffen, ist auf den ersten Blick ein unauffälliger Ort, eine etwas heruntergekommene Imbissbude inmitten einer wilden Ansammlung von Gebäuden und Containern. Doch die
Stammgäste und Durchreisenden verhandeln hier die großen Lebensthemen: Liebe, Tod, Freundschaft und die Qualität eines Saukopfs. Die Männer, die hier täglich sitzen und trinken, reden und
schweigen, sind allesamt Originale. Viel besitzen sie nicht, aber Humor, Gemeinschaftssinn und Gelassenheit auf alle Fälle. Wenn Wirt Manfred ein Nebengebäude renovieren will und die befreundeten
Handwerker alle drei Fenster falsch herum einbauen, dann ist das zwar saudumm, aber irgendwie auch wurscht. Die Handwerker trinken ihr unverdientes Feierabendbier, und dann wirft ihnen der
Spielautomat auch noch ein kleines Vermögen aus.
So ist das Leben halt: Glück und Unglück, Spaß und Verdruss, Freud und Leid liegen eng beieinander. Und im B12 noch ein bisschen enger. Ist dieser Ort nun kaputt und deprimierend? Ein Ort, an dem
ununterbrochen Autos vorbeirauschen und wo der alte Lenz in einer ehemaligen Großküche haust? Oder doch ein besonderer Ort, wo immer was los ist, wo viele eine Heimat gefunden haben, wo ein
89-jähriger vom Sterben redet und dabei höchst vital ist?
Das ist Ansichtssache, das entscheidet der Zuschauer. Wer über das B12 nachdenkt, denkt über das Leben nach.
„Ja mei, I wui nur noch sterben“, sagt der 89-jährige Lenz zu Beginn des großartigen Heimatfilms von Christian Lerch. Dann erleben wir ihn als vitalen Patriarchen in seinem Biotop, einer Raststätte an der Bundesstraße 12. Sein Sohn hat das Erbe übernommen, das Haus wird gegen den Willen von Lenz umgebaut. Als die Fenster verkehrt herum eingesetzt werden, wird klar, dass hier einiges aus dem Ruder läuft. Die Schwiegertochter kümmert sich liebevoll um Lenz und sogar alte Freunde lassen sich von dem ewig grantelnden Kerl nicht vergraulen und schauen immer wieder bei ihm vorbei. „Ja mei, I wui nur noch sterben“, sagt der mittlerweile 90-jährige Lenz zum Ende der Erzählung. Ein liebevoller, berührender Film über ein Stück bayerischer Lebensart und die ureigene Kraft des Lebens.
Daniel Sponsel, DOK.fest München 2018
Mit Sicherheit der außergewöhnlichste Heimatfilm der letzten Jahre: Christian Lerch porträtiert die Betreiber einer Raststätte
in der Nähe von München. Mal rabiat, mal zärtlich und immer mit einem Funken Humor geht es ums Leben und Überleben miteinander. Das hat so viel Pep und Schwung und ist so prall gefüllt mit alltäglichem Irrsinn, dass man nur wünschen kann, die
Langzeitdokumentarbeobachtungskomödie fände den Weg in möglichst viele Nordlichter-Kinos jenseits des Weißwurst-Äquators. Auch und gerade weil es hier manchmal sehr typisch bayrisch rustikal hergeht.
Gaby Sikorski,
programmkino.de